Qualitativer Wohlstand für alle ohne Wachstum


„Infinite growth of material consumption in a finite world is an impossibility.“ – E. F. Schumacher

Fast täglich hören wir in den Medien, dass unser aller, oder zumindest das Wohl der meisten von uns, von einem stetigen Wirtschaftswachstum abhängt. Steigerungen des BIP (Bruttoinlandsprodukt) werden mit Stolz verkündet, eine Verlangsamung des Wachstums mit Sorge betrachtet.

  • Unser Beitrag zum Wirtschaftswachstum, der von uns erwartet wird, ist der kontinuierliche Konsum neuer Produkte.
  • Tritt dennoch eine Sättigung ein (mangels Konsumwachstum), werden von den Unternehmen neue Bedürfnisse generiert.
  • Wenn auch neue Bedürfnisse nicht das erwartete Wachstum bringen, suchen die Unternehmen neue Konsumenten in neuen Märkten, meist in der Dritten Welt. Die Dritte Welt (sie heißt Dritte Welt, weil sie mit der Ersten Welt nicht konkurrieren kann) rächt sich, indem Menschenmassen in die „schöne“ Erste Welt auswandern, nachdem ein wirtschaftliches Überleben im eigenen Land nicht mehr möglich ist.
  • Eine andere Möglichkeit, begrenztes Wirtschaftswachstum zu generieren, ist das Führen von Kriegen. Die Geschichte ist voll davon. Aber diese Art der „Wirtschaftsförderung“, auch wenn sie derzeit leider sehr aktuell ist, sollte die Menschheit inzwischen eigentlich prinzipiell ausschließen.

Unendliches globales Wirtschaftswachstum erfordert aber auch eine unendliche Verfügbarkeit von Ressourcen, die auf unserem Globus per definitionem nicht gegeben ist.

Um diese Endlichkeit der Ressourcen unserer Welt zu überwinden, haben einige Superreiche sogar die Vision, auf die unendlichen Ressourcen unseres Universums zurückzugreifen. Diese Vision wird aber die aktuellen Probleme der Menschen auf dieser Welt in absehbarer Zeit nicht lösen. Ich bin auch der Meinung, dass unsere Intelligenz besser in den Erhalt unserer Welt investiert werden sollte.

Ständiges Wachstum funktioniert also nur so lange, wie unsere Erde genügend Ressourcen zur Verfügung stellt, um all diese Produkte herzustellen.

Doch warum brauchen wir überhaupt ständiges Wirtschaftswachstum? Das hat unter anderem mit unserem Zinssystem zu tun. In vielen modernen Volkswirtschaften gelten Schulden als Wachstumsmotor. Schulden müssen mit einem zusätzlichen Betrag, den Zinsen, zurückgezahlt werden. Das setzt aber voraus, dass die mit Schulden finanzierte Initiative einen Ertrag abwirft, der höher ist als die Schulden und die zu zahlenden Zinsen.

  • Das betrifft die Familie, die einen Immobilienkredit aufnimmt und mit einem hoffentlich gesicherten zukünftigen Einkommen den Lebensunterhalt, die Schulden und die Zinsen finanzieren muss.
  • Es betrifft Unternehmen, die mit fremdfinanzierten Projekten Erträge erwirtschaften müssen, die höher sind als die Schulden plus Zinsen. Sie sind also gezwungen zu wachsen.
  • Es betrifft aber auch Staaten, die einen Teil ihrer Leistungen über Schulden finanzieren. Die Schuldentragfähigkeit von Staaten wird am BIP gemessen. Solange das BIP größer ist als die Schuldenlast plus Zinsen, ist die Refinanzierung über Schulden einfach. Ist dies nicht der Fall, steigt der Risikoaufschlag auf die Zinsen und eine Entschuldung wird immer schwieriger. Ist das Vertrauen in die Währung noch vorhanden, wie z.B. in den USA, kann die Zentralbank die Notenpresse anwerfen, um die Schulden zu begleichen. Dies führt jedoch zu steigender Inflation und Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Steigende Inflation wird von den Zentralbanken durch Zinserhöhungen bekämpft. Diese Zinserhöhungen wiederum erfordern ein noch höheres Wirtschaftswachstum, um die Rückzahlung der Schulden inklusive Zinsen zu ermöglichen. Stetiges Wirtschaftswachstum wird somit als der beste Weg gepriesen, um die wachsenden Schulden bedienen zu können.

Ständiges Wirtschaftswachstum führt aber auch zu Ressourcenübernutzung, Umweltverschmutzung und letztlich zur Klimakrise. Deshalb ist dieses Wachstumsparadigma angesichts der begrenzten Ressourcen unseres Planeten nicht mehr tragbar.

Diejenigen, die bereits über finanzielle Mittel verfügen, können durch das Zinssystem ihren Reichtum leichter vermehren. Geld kann angelegt werden, ohne dass der Einzelne aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen muss. Dies führt zu einer leichteren Anhäufung von Reichtum bei den bereits Wohlhabenden und vergrößert die Kluft zwischen Wohlhabenden und weniger Wohlhabenden. Soziale Spannungen sind mittelfristig die Folge.

Ressourcenübernutzung, Umweltverschmutzung, Klimakrise, Migration und soziale Spannungen rufen nach alternativen Ansätzen für ein nachhaltiges, ökologisches, menschengerechtes und ethisch vertretbares Wirtschaften.

Es gibt bereits Alternativen, aber um eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen müssen wir mutige Entscheidungen faulen Kompromissen vorziehen.

  1. Schutz der Gemeinschaftsgüter: Wir alle brauchen sauberes Wasser und saubere Luft zum Leben. Alle Aktivitäten, die diese lebenswichtigen Ressourcen gefährden, müssen unterbunden werden. Wenn es nicht möglich ist, diese schädlichen Aktivitäten zu vermeiden, muss es strenge Verpflichtungen geben, verschmutzte Luft oder verschmutztes Wasser wieder zu reinigen. Auch Bodenschätze müssen ausschließlich dem Gemeinwohl dienen. Es darf nicht sein, dass einzelne Unternehmen mit diesem Allgemeingut Profit machen können. Wo der Abbau von Bodenschätzen zu Umweltbelastungen führt (z.B. bei Öl, Gas oder Kohle), ist mittelfristig ein vollständiger Ausstieg vorzusehen. Auch der technologische Fortschritt soll in den Dienst des Gemeinwohls gestellt werden. Technologien sollen in die Wirtschaft integriert werden, um die Arbeit der Menschen zu erleichtern und gleichzeitig einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
  2. Kostenwahrheit im Verkehr: Die Einbeziehung der Umweltkosten des Verkehrs in die Gesamtkosten, die derzeit auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft. Kostenwahrheit wird durch die Einbeziehung von Umwelt-, Gesundheits-, Unfall- und Lärmkosten erreicht. Direkte und indirekte Subventionen für den Flug- und Straßenverkehr müssen abgebaut werden. Der öffentliche Verkehr und das Radwegenetz müssen ausgebaut werden. Kostenwahrheit im Verkehr bedeutet natürlich, dass die Kosten für den Endverbraucher steigen. Das Konsum- und Reiseverhalten wird dadurch aber auch nachhaltiger. Lange Transportwege lohnen sich nur noch für hochwertige Produkte, die nicht lokal hergestellt werden können. Für alle anderen Produkte werden lokale Kreisläufe gestärkt. Die Städte müssen vom Verkehr befreit und für die Menschen wieder zugänglich gemacht werden.
  3. In lokalen Kreisläufen werden Ressourcen, Produkte und Dienstleistungen überwiegend lokal erzeugt, verarbeitet, verbraucht und wiederverwertet. Sie können zur Stärkung der regionalen Wirtschaft beitragen, indem sie die Nachfrage nach lokalen Produkten und Dienstleistungen erhöhen. Sie fördern eine enge Verbindung zwischen Erzeugern und Verbrauchern und stärken so die sozialen Bindungen in der Gemeinschaft und fördern eine gemeinschaftsorientierte Wirtschaft. Aufgrund der geringen Entfernung zwischen Erzeugung, Verarbeitung und Verbrauch handelt es sich auch um eine umweltfreundliche und nachhaltige Wirtschaftsform. Sie ist auch widerstandsfähiger gegenüber externen wirtschaftlichen Schocks, da sie weniger von globalen Lieferketten und internationalen Märkten abhängig ist. Ein weiterer Vorteil ist ihr Beitrag zur Bewahrung der kulturellen Identität. Auch genossenschaftliche Strukturen basieren auf gegenseitiger Hilfe und sozialen Bindungen und fördern so die Autonomie und Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Eine weitere Möglichkeit zur Stärkung lokaler Wirtschaftsaktivitäten ist die Einführung von limitierten Regionalwährungen (siehe Beispiel Wörgler Freigeld-Aktion 1932/33) und die Förderung von Gemeinschaftsfinanzierungen wie z.B. Crowdfunding.
  4. Für Milliardäre muss es eine Vermögensteuer geben, wobei alle internationalen Schlupflöcher zur Umgehung dieser Steuer durch verschachtelte Unternehmen oder Stiftungen geschlossen werden müssen. Auch Erbschaften und Gewinne aus Finanztransaktionen müssen besteuert werden, um die Kluft zwischen Arm und Reich nachhaltig zu verringern. Mit diesen Mitteln können sozial Schwache unterstützt, Wälder wieder aufgeforstet und Gewässer von Müll befreit werden. Schon Keynes sagte: „Man braucht nur ein Loch zu graben, und die Wirtschaft beginnt zu laufen…“. Aber anstatt Löcher zu graben oder in große, umweltschädliche Infrastrukturprojekte zu investieren, sollten wir mit diesen Ressourcen eine Rendite für die Wiederherstellung der Natur definieren. Wenn der technologische Fortschritt zu weniger Arbeit führt, ist die Lösung nicht ein bedingungsloses Einkommen, sondern ein bedingtes Einkommen, das an die Wiederherstellung der Natur gebunden ist.
  5. Gier nach mehr Rendite sollte nicht mehr oberster Treiber einer Investition sein, sondern Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Beispiel hierfür ist das Ethikal Banking bei der der sinnvolle Einsatz des Geldes wichtiger ist als die in Zahlen ausdrückbare Rendite. Je niedriger die Rendite für das Ersparte, desto niedriger auch der Förderzinssatz, zu dem der Kredit für die nachhaltige und ethische Aktivität vergeben wird.
  6. Die Migrationsproblematik wurde durch die aggressive Wirtschaftspolitik der sogenannten Ersten Welt ausgelöst. Als ersten Schritt zur Lösung des Problems sollten wir den Ländern der Dritten Welt ihre Schulden erlassen. Ein großer Teil dieser Schulden kann ohnehin nicht mehr zurückgezahlt werden. Alte Schulden werden in der Regel mit neuen Schulden getilgt. Man könnte einwenden, dass ein Schuldenerlass ein weltweites Erdbeben im Finanzsystem auslösen könnte. Diese Gefahr besteht. Aber wir haben die finanziellen Mittel gefunden, um die Einlagen während der Finanzkrise 2008 und der Covid-Krise zu schützen. Deshalb sollten wir auch die Mittel finden, um die Schulden der Dritten Welt zu streichen. Das würde in der Dritten Welt Ressourcen für lokales Wachstum freisetzen. Damit könnten wir sie wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger machen. Die Menschen hätten wieder eine Perspektive, ihren Lebensunterhalt im eigenen Land zu verdienen. Dieses Wachstum muss aber wie ein zartes Pflänzchen in den ersten Jahren durch protektionistische Maßnahmen geschützt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass diese aufstrebenden Volkswirtschaften von den starken Volkswirtschaften sofort wieder aus dem Markt gedrängt werden. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass dies die einzige funktionierende Lösung ist, um den Migrationsdruck auf die Erste Welt zu reduzieren.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass diese Lösungsvorschläge utopisch klingen. Sie sind sicher schwer umzusetzen, auch weil mächtige und reiche Interessengruppen alles tun werden, um sie zu verhindern. Meine Hoffnung ist, dass die Menschheit nicht erst eine Katastrophe braucht, um zu erkennen, dass wir so nicht weitermachen können und dass ein tiefgreifender Wandel notwendig ist. Echter Wandel kann nur auf individueller und kollektiver Ebene stattfinden. Dazu müssen wir unsere Werte und Prioritäten ändern. Wir müssen den Schwerpunkt von quantitativem Wachstum auf qualitative Aspekte des Wohlstands wie Wohlbefinden, Gemeinschaft und ökologische Integrität verlagern. Wir brauchen eine Wirtschaft, die im Einklang mit der Natur steht und Ressourcen schont.

Lasst uns gemeinsam eine bessere Welt erschaffen

Text inspiriert vom Buch „Sacred Economics – Money, Gift & Society in the Age of Transitions“ von Charles Eisenstein

Veröffentlicht von Alex

Berater für Digitalisierung- und Organisationsentwicklung

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