
Am 18. Mai 2023 startete ich von Meran Richtung Jaufenpass mit einem älteren Mountainbike, welches ich für 200€ kurz zuvor gebraucht erworben hatte. Darauf gepackt ein Zelt, ein Schlafsack, Regenschutz und Proviant für 2 Tage. Mein imaginäres Ziel der Reise war das Nordkap, der nördlichste Punkt Europas. Aber an diesem ersten Tag war ich überhaupt nicht sicher ob ich dieses Ziel je erreichen werde. Inzwischen war das Ziel für Tag eins Innsbruck. Da hatte ich mir zu Anfang gleich eine der anstrengendsten Etappen ausgesucht mit 2.620 Höhenmeter und 110km. Nach knapp neun Stunden erreichte ich völlig erschöpft Innsbruck, wo ich in der Studentenbude meines Sohnes übernachten durfte.
Tag 2 ging es entspannt den Fluss Inn entlang und vorbei an der Festung Kufstein über einen kleinen steilen Pass Richtung Chiemsee. Tag 3 erreichte ich Braunau auch bekannt als Hitlers Geburtsort. Nichts weist auf diesen Geburtsort hin. Nur ein Stein mit der Inschrift “ Für Frieden, Freiheit und Demokratie, nie wieder Faschismus, Millionen Tote mahnen”. Mich beeindruckte hier der immense Kontrast zum Geburtsort des italienischen Diktators.

Am nächsten Tag geht die Reise weiter den Inn entlang bis nach Passau, wo ich Richtung Tschechei das Donautal verlassen habe. Diesen Abend kam es im Restaurant zu einen interessanten Gespräch mit dem Gastwirt. Der Gastwirt war fest überzeugt, dass Corona nur eine geplante Verschwörung Europas gewesen sei. Dies war nur eine seiner vielen „lustigen“ Verschwörungstheorien.
Das erste Übernachtungsziel in Tschechien war die alte Stadt Budweis, welche ich über einsame Landstraßen in überwältigender Natur erreichte. Am nächsten Tag radelte ich entlang eines wunderbaren Radweges entlang der Moldau bis nach Prag.


Ich nahm den Umweg über Prag in Kauf um nach Dresden entlang des Elbradweges bis nach Norddeutschland zu kommen.
Entlang der Modlau musste ich immer wieder den Fluss überqueren. Meist auf einem Floß, auf dem nur eine Person Platz hatte und dass der Flößer rudernd zum anderen Ufer brachte. Kurz vor Deutschland erreichte ich das Städtchen Leitmeriz.
Vor den Toren von Leitmeriz liegt das berüchtigte KZ Theresienstadt. In einem Propagandafilm zu diesem KZ wollten die Nationalsozialisten darstellen, wie gut sie eigentlich die Juden behandelten.
Immer entlang des Elbfahrradweges erreichte ich die wunderbare Stadt Dresden.
Weiter entlang der Elbe nach Wittenberg, wo Luther seine 95 Thesen an die Domtür nagelte und Torgau, wo Amerikaner und Russen sich getroffen und damit den 2. Weltkrieg Krieg beendet haben. Weitere Stopps waren in Magdeburg, Tangermünde und Perleberg. In Krakov am See hatte ich ein Zimmer gebucht, das einem älteren, schrulligen Ehepaar gehörte. Gleich nach der Ankunft wurde mir Kaffee und Kuchen angeboten. Dabei musste ich meinen Gastgebern ausführlich über meine Beweggründe der Reise erzählen. Abends kochten sie mir noch ein leckeres Abendessen. Am nächsten Tag ging es auch schon weiter nach Rostock, wo ich ein Zimmer bei einer Studentin mietete.

Von Rostock aus nahm ich die Fähre nach Dänemark um dann nach Praesto zu radeln wo ich das nächste Zimmer gebucht hatte. Die Frau, der die Wohnung gehörte, war nicht zu hause. Über die App erklärte sie mir wo ich die Schlüssel finde und sagte ich solle mich wie zu hause fühlen. Das war für mich ein sehr komisches Gefühl, allein in einer fremden Wohnung. Die Mieterin ist erst abends nach Hause gekommen. Ich fragte mich: “Würde ich das auch bei meiner Wohnung machen, hätte ich so viel Vertrauen?”
Der nächste Halt war Kopenhagen. Diese Stadt befindet sich in der Mitte einer Insel mit einer 60km langen schönen Bucht. Die gesamte Strecke war ein wunderbarer Radweg entlang des Strandes und auch das Wetter war passend mit viel Sonne. Entlang des Strandes waren schöne typisch dänische Häuschen aber auch moderne Villen immer mit der dänischen Fahne vor der Tür.

Am Tag 19 erreichte ich endlich Schweden. Bemerkenswert an diesem Punkt war, dass ich inzwischen durch Österreich, Tschechien, Deutschland und Dänemark gefahren bin, aber immer noch mehr als die Hälfte des Weges vor mir hatte. Nur die vor mir liegende Strecke durch Schweden war länger als die bisher zurückgelegte Strecke durch die vier Staaten. In Schweden wurden erste Veränderungen der Vegetation sichtbar. In diesen typischen schwedischen Hügellandschaften wurden die Wälder immer lichter. Meine typische Mittagspause war ein Brot mit Aufschnitt, insofern ich irgendwo eine Bank auf dem Weg fand. In Schweden fuhr ich immer auf Nebenstraßen, welche meist fast ohne jeglichen Autoverkehr waren. Da Skandinavien relativ dünn besiedelt ist, musste ich meine Tagesplanungen nach den nächsten Supermarkt ausrichten.
In Schweden traf ich auch immer öfter weitere Bikepacker mit dem gleichen Ziel Nordkap. Ich fuhr durch wunderschöne Landschaften, an Seen vorbei, wo Familien das schöne Wetter genossen und sogar an Hügeln, wo Gräber aus der Steinzeit entdeckt wurden.

Eine Unterkunft, wo ich übernachte, wurde von einem jungen Pärchen geführt, das versuchte, alles aus eigener Bio Produktion herzustellen. Dort waren viele andere Gäste, mit denen ich interessante Gespräche führen durfte. Oft mietete ich für 1 Nacht einsame Ferienhäuser, ohne Anschluss an die Kanalisation aber immer erschlossen von Post und Müllabfuhr.
Bei meiner Weiterfahrt kam ich in ein kleines Städtchen. Da es Mittagszeit war nutzte ich die Gelegenheit eine Pause einzulegen. Es näherte sich mir einer Frau mit offensichtlichen psychischen Problemen. Sie war sehr gesprächig und erzählte mir ihr ganzes Leben. Das Gespräch war auch meinerseits sehr offen. Dies beeindruckte mich sehr, denn es zeigte mir wie einfach es wäre uns gegenseitig besser zu verstehen. Oft zwingt uns die Gesellschaft unsere Schwächen unter einer Art Maske zu verstecken. Diese Frau hat diese Maske sofort fallen lassen und somit das Gespräch ungewohnt offen gegenüber einem Fremden gestaltet. Diese Begegnung hat mich noch lange beschäftigt.
In Schweden wurden Mücken zu ständigen Begleitern. Doch Bremsen waren ein noch viel größeres Problem, denn um die abzuschütteln musste man mindesten 30km/h radeln, was mir leider nur bergab gelang.

In der Stadt Pitea habe ich ein österreichisches Bickpacker-Rentner-Pärchen getroffen. Sie sind von der Steiermark gestartet und planten auch den Rückweg über Norwegen mit dem Rad zurückzulegen. Wir fuhren gemeinsam ein Stück durch Schweden.
Ende Juni war in Schweden die Zeit der Sonnenwende. Die Sonne ging nie ganz unter.
In einer Unterkunft in der Nähe von Överkalix traf ich einen Holländer der mit seinem Motorrad Richtung Nordkap unterwegs war. Er konnte kaum glauben, dass ich mit dem Rad von Italien zum Nordkap fahre. Das nächste Gasthaus war 2 Kilometer von der Unterkunft entfernt und ich beschloss es zu Fuß zu erreichen. Leider fing es sofort an sehr stark zu regnen. Glücklicherweise erbarmte sich der Gastgeber der Unterkunft, fuhr mit dem Auto mir hinterher, nahm mich bis zum Gasthaus mit. Er holte mich auch nach 1 Stunde wieder ab. Diese kleinen Gesten der Menschlichkeit prägen meine Reisen.

Am Tag 36 erreichte ich den Polarkreis. Inzwischen war die Mücken- und Bremsenplage so schlimm, dass ohne Gesichtsnetz und Mückenschutz eine Weiterfahrt fast unmöglich war. Die Vegetation ähnelte nun schon einer Tundra und die Bäume wurden immer niederer.
Ich kam genau zu den Mid-Sommerferierlichkeiten im letzten schwedischen Dorf vor der finnischen Grenze an. Supermarkt und Gasthaus war wegen des Feiertages bereits geschlossen. Glücklicherweise erbarmte sich meine Vermieterin, welche mir Proviant für das Abendessen und das Frühstück besorgte.
Am nächsten Tag war ich im Land Nummer 6 – Finnland. Gleich nach der Grenze buchte ich wieder ein kleines Ferienhaus mitten im Wald. Leider hatte das Ferienhaus keine Dusche. Der Vermieter erklärte mir, dass es in Finnland nur finnische Duschen gab. Man musste mit Brennholz Feuer machen um die Sauna zu erhitzen und konnte dann mit dem warmen Wasser auch duschen. So nutzte ich die Gelegenheit für 2 Saunagänge. Abkühlung fand ich im kleinen Bach gleich neben der Hütte. Leider waren die Mücken so lästig, dass ich das kühle Bad nicht lange genießen konnte. Da die Mücken auch zahlreich in der Hütte waren, wurde dies zu einer sehr unruhigen Nacht.

Der darauffolgende Tag wurde sehr anstrengend da Komoot mir eine scheinbar lohnende Abkürzung vorschlug mit welcher ich 50km einsparen könnte. Leider wurde der anfänglich noch breite Weg immer enger, bis er komplett verschwand und ich mich mitten eines Sumpfes wiederfand. Da ich inzwischen zu weit im Landesinneren war konnte ich nicht umdrehen. Ich musste das Rad weiterschieben. Nach ungefähr 20km Rad schieben im Sumpf kam ich endlich wieder auf eine Straße. Über ein Hochplateau erreichte ich Land Nummer 7 – Norwegen.
In der letzten Stadt in Norwegen vor dem Nordkap, in Alta, traf ich zwei junge deutsche Bikepacker. Sie waren bereits am Nordkap und bereiteten sich jetzt auf die Heimfahrt vor. Ich hatte bis dahin noch keinen konkreten Plan für die Rückfahrt. Schlimmstenfalls wollte ich wieder mit dem Rad zurück fahren. Doch diese zwei Bikepacker erklärten mir, dass es in Alta einen Flughafen gab, auf dem man billig auch das Rad per Flugzeug verschicken kann. Nun hatte sich also endlich einen Plan für die Rückreise.
Nach Alta Richtung Nordkap kommt man auf ein Hochplateau mit einer der schönsten Straßen der gesamten Reise, vorausgesetzt man hatte schönes Wetter. Das Hochplateau war auf ungefähr 300 Höhenmeter, hatte aber eine ähnliche Vegetation wie bei uns in den Alpen auf 2000 Meter. Auf dieser Straße sah ich das erste Schild, das zum Nordkap weist, nur noch 197km.

Nach dem Hochplateau wieder am Meer kommt man an vielen typischen malerischen norwegischen Fischerhütten vorbei.
Das Nordkap befindet sich auf einer Insel, die durch einen sieben Kilometer langen Tunnel mit dem Land verbunden ist. Dieser Tunnel ist der Alptraum jedes Bickpackers. Die ersten 3,5 km gehen ziemlich steil und schnell nach unten, dann wieder 3,5 km langsam bergauf. Meine größte Sorge war die Frischluft, da der Tunnel auch vom normalen Verkehr benützt wird. Aber die Belüftung war ausreichend. Das Problem für den Radfahrer war eher der Lärm der Lastwagen und Motorräder.
Auf der Insel angekommen übernachtete ich im letzten Dorf vor dem Nordkap, in Honningsvag.
Von dort aus waren es nur noch 32km und 580 Höhenmeter zum Nordkap.

Am 29. Juni 2023 bin ich am Ziel Nordkap angekommen. Nach 43 Tagen, 4276 km, 28400 Höhenmeter und 7 Staaten. Ich konnte es kaum glauben, dass ich es wirklich geschafft hatte.
Auch andere Besucher des Nordkapps waren erstaunt von meiner Geschichte.
Ich nütze die Gelegenheit reichlich Fotos am eisernen Globus zu schießen.

Vom Nordkap zurück nach Alta nahm ich den Bus. Ich verbrachte vier Tage in Alta, da ich keinen früheren Flug bekam. Da es in Alta ein Museum mit Steinzeitbildern gab nutzte ich die Gelegenheit mir diese Bilder anzuschauen.

Am nächsten Tag wurde ich von meiner Vermieterin zu einer Wanderung eingeladen. Weitere Teilnehmer dieser Wanderung war ein evangelischen Pfarrer und eine japanische Austauschschülerin. Ich nützte die Gelegenheit für interessante Gespräche. Zudem lernte ich den Vater der Vermieterin kennen, welcher mir viel über Norwegen erzählte. Der Norden Norwegens hat viele Stauseen welche zu viel Strom produzieren. Deshalb ist der Strom sehr billig. Alle fahren Elektroautos und heizen mit Strom. Außerdem erzählte er, dass Norwegen ein großes Problem mit Alkohol habe. Vielleicht hängt dieses Problem auch mit den langen, dunklen Winternächten zusammen. Die Regierung versucht das Problem mit dem Alkohol in den Griff zu bekommen indem der Preis künstlich sehr hoch gehalten wird. Ein Bier ist schwer zu finden und kann auch leicht zwölf Euro kosten.
Am letzten Tag in Alta mähte ich noch den Rasen meiner Vermieterin und zum Dank hat sie mich am nächsten Tag zum Flughafen gefahren. Der Flug war nach Mailand mit einem Stopp in Oslo. In Mailand holte mich ein guter Freund vom Flughafen ab. Ich durfte noch eine Nacht bei meinem Freund am Lago Maggiore verbringen und am nächsten Tag führ ich mit dem Zug nach Meran.
Text by Franzi

brillant
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