Technologien, die einst für eine Demokratisierung der Wirtschaft standen, stehen heute für eine geschichtlich gesehen nie dagewesene Machtkonzentration.
Da wir keine Erfahrungswerte mit der „Plattform-Ökonomie“ haben, verhalten wir uns gegenüber diesem Phänomen ähnlich wie die indigenen südamerikanischen Völker bei ihrer ersten Begegnung mit den Konquistadoren. Sie hatten auch keine entsprechenden Erfahrungswerte und somit hielten sie diese Fremden mit dem „Donner-Stab“ für Götter und empfingen sie auch mit entsprechender Gastfreundschaft. Wie die Geschichte ausging wissen wir alle.
Android von Google und IOS von Apple sind vergleichbar mit den mittelalterlichen Zollstationen, welche den Zugang zum städtischen Markt kontrollierten. Auch Google und Apple erhebt Wegzoll in Form von Geld und Daten.
Amazon und Alibaba verbinden Millionen von Verbrauchern mit Händlern und Herstellern. Auch sie erheben Wegzoll und sammeln unsere Daten, um ihre eigenen Produkte besser verkaufen zu können.
Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, man sei selbst das Produkt, wenn man eine kostenlose Dienstleistung, wie zB Google oder Facebook, in Anspruch nimmt. Dies entspricht nur zum Teil der Realität. Wir sind weder das Produkt noch der Kunde, sondern eigentlich nur die Goldmine, die den Plattformen den notwendigen Rohstoff liefert. Dieser Rohstoff erlaubt den Plattform-Konzernen, unsere zukünftiges Verhalten mit mathematisch genauer Sicherheit vorausbestimmen. Dieses Zukunftswissen wird dann zum Beispiel als zielorientierte Werbung an die eigentlichen Kunden verkauft. Zudem ermöglicht dieses Wissen den Konzernen neue Bereiche zu identifizieren wo ein weiteres Wachstum möglich ist.
Wie unterscheidet sich die Plattform-Ökonomie von der „traditionellen“ Ökonomie?
Der betriebswirtschaftliche Lebenszyklus eines traditionellen Produktes entspricht einer glockenartige Entwicklungskurve. Diese Kurve ist am Anfang von einer Aufbauphase mit schwacher Nachfrage gekennzeichnet. Sobald das Produkt die Marktreife mit dem Massenmarkt erreicht hat, nimmt auch die Konkurrenz zu. Die Unternehmen konzentrieren sind in dieser Phase das Produkt immer billiger und immer besser zu machen. Am Ende des Lebenszyklus des Produktes folgt wieder eine Abflachung der Wertschöpfungskurve.
Bei der Plattform-Ökomomie hingegen ist, aufgrund der steigende Skalenerträge der digitale Technologien, ein potentiell unbegrenztes exponentielles Wachstum charakteristisch. Eine Plattform wird immer besser, je mehr sie zusätzliche Nutzer anlockt. Je mehr Menschen diese Netzwerke nutzen, desto wichtiger wird es auch für andere Unternehmen, auf ihre Dienste zurückzugreifen. Je mehr Unternehmen diese Netzwerke verwenden, desto mehr Nutzer bekommen wiederum die Netzwerke. Die steigende Nutzerzahl und damit verbunden das vermehrte Wissen über diese Nutzer ermöglicht es den Plattformen dann auch in andere Branchen zu expandieren, wo ein neuer Wachstumszyklus beginnt.
Daten und Wertschöpfung konzentrieren sich so immer mehr in den Händen einer kleinen Zahl von Unternehmen. Dies führt zu einem digitalen Dominoeffekt. In immer mehr Märkten bleibt nur noch eine Handvoll Plattformkonzernen übrig.
Dieser digitale Dominoeffekt hat bereits einige Sektoren erfasst:
- Google (Android) und Apple (IOS) entscheiden wer im Geschäft mit Mobilfunktelefonen überleben darf (man erinnere sich an das Beispiel Huawei).
- Das Musikgeschäft ist in den Händen von Apple, Google und Spotify.
- Das Unterhaltungsgeschäft wird von Netflix, Amazon, Apple, Google und WaltDisney bestimmt.
- Beim Onlinehandel sind Alibaba und Amazon unangefochtene Marktführer, welche zunehmend auch den lokalen stationären Handel bedrohen.
- Die Banken haben bereits einen großen Teil des Zahlungsverkehrs an Paypal, Apple, Google, Amazon und Alibaba verloren. Facebook arbeitet an einer eigenen digitale Währung.
- Das Gesundheitswesen (Apple, Google), die Landwirtschaft und der Automobilsektor (Apple, Google) sind die nächsten Sektoren, welche von den Plattform-Konzernen revolutioniert werden.
Die Ironie der Geschichte ist, dass die Digitalisierung einerseits weltweit beispiellose wirtschaftliche Chancen geschaffen hat, nun aber die Wirtschaft untergraben und gar die gesellschaftliche Stabilität ins Wanken bringen könnte.
Wir als Verbraucher, Unternehmer und Wähler müssen zuerst die Mechanismen der Plattform-Ökonomie verstehen, die Risiken erkennen, um mit kritischen und sachkundigen Gegenvorschlägen die digitale Transformation aktiv mitzugestalten. Nicht die Technologie ist das eigentliche Problem, sondern was wir daraus machen.
Kollektives Handeln ist unsere einzige Möglichkeit, ökonomische Netzwerke zu limitieren, Wertschöpfung und Ertragsaufteilung neu zu ordnen, und Wettbewerbsengpässe zu beseitigen.
Dass solche gemeinschaftlichen Initiativen erfolgreich sein können zeigt das Beispiel aus den 1990 Jahren von Linux der Opensource-Comunity als Alternative zum Windows-System von Microsoft. Heute basieren großteils der CloudServer auf Linux.
Multi-homing könnte ein weitere erfolgreicher Ansatz sein, bei dem wir als Nutzer eines Ökosystems auf Alternativen umsteigen (Beispiel DuckDuckGo anstatt Google Search oder Signal anstatt Whatsapp).
Auch Unternehmen, die selbst keine Plattformen sind, können mit gemeinsamen strategischen Maßnahmen die wachsende Macht der Netzwerkgiganten zurückzudrängen.
Zudem muss das öffentliches Bewusstsein über die Notwendigkeit des Schutzes persönlicher Daten erhöht werden. „Ich habe nichts zu verbergen“ ist eine irreführende Ausrede. Die Plattform-Konzerne verwenden unsere Daten, um unser zukünftiges Handeln vorherzusehen und dieses auch in ihrem Sinne beeinflussen zu können. Man erinnere sich an die Wahlen in Amerika im Jahre 2017, welche Trump mit Unterstützung von Cambridge Analytica gewonnen hat. Europa hat zwar eines der besten Datenschutzgesetze weltweit, trotzdem müssen wir auch weiterhin auf gesetzliche Rahmenbedingungen drängen, um das „Recht auf Privatsphäre“ und das „Recht auf Vergessen“ gebührend festzuschreiben. Wir sollten unsere Regierungen weiterhin ermutigen, den Wettbewerb zu fördern, den Verbraucherschutz zu stärken und die ökonomische Stabilität zu gewährleisten.
Die digitale Ökonomie muss wieder nachhaltig zum Wohle aller transformiert werden. Ein gesundes Ökosystem zu schaffen und zu wahren sollte auch dem ureigenen Interesse eines Plattform-Konzerns entsprechen.
Einen ersten Hoffnungsschimmer in die richtige Richtung finden wir in der Rede von Mark Zuckerberg vom Mai 2017 zur Feier der Verleihung der akademischen Grade an der Harvard University:
„Wir haben ein Niveau der Vermögensungleichheit erreicht, das niemandem mehr gut tut.“